Aktionswoche Schuldnerberatung

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Bildrechte Nadja Fiedler

„Die bürgerliche Mitte erodiert“ - Diesjährige „Aktionswoche Schuldnerberatung“ findet vom 12. bis 16. Juni statt

Rudi F. (Name geändert) hofft, dass ihn sein neuer Chef nicht so schnell auf die Straße setzen wird. Wobei er seinen alten Chef, der ihn entlassen hatte, schon irgendwo versteht. Rudi F. kann nicht immer volle Leistung bringen. „Ich habe Depressionen“, sagt er zu Robert Morfeld. Der Schuldnerberater der Würzburger Christophorus-Gesellschaft schaut ihn mitfühlend an. Rudi F. ist wegen seiner Depressionen immer wieder arbeitslos. Er hat nie genug Geld. Seitdem alles teurer wird, kommt er gar nicht mehr klar.

Zu Robert Morfeld kommen Menschen, die Angst haben, dass man ihnen den Gashahn abdreht. Er berät Verschuldete, die sich aus Furcht vor Gläubigerpost gar nicht mehr an den Briefkasten trauen. Dabei fällt ihm auf, dass plötzlich Klienten zu ihm kommen, die er früher nur sehr selten in der Schuldnerberatung gesehen hat. Und das hat Gründe. Diese Menschen, die eigentlich über ausreichend persönliche Ressourcen verfügen und bisher immer alles daran gesetzt haben, sich selbst zu helfen, können plötzlich nicht mehr.

Alle Ersparnisse sind aufgebraucht und das Gefühl wächst, vor dem Nichts zu stehen. Immer mehr Bürger befinden sich in dieser Lage, weshalb die Nachfrage nach Schuldnerberatung explodiert, konstatiert Robert Morfeld anlässlich der „Aktionswoche Schuldnerberatung 2023“. Die findet bundesweit vom 12. bis 16. Juni unter der Überschrift „Was können wir uns noch leisten? Überschuldungsrisiko Inflation“ statt.  

Rudi F. war vor seiner psychischen Erkrankung ein freigebiger Mensch. Gern lud er Freunde zum Essen ein. Überhaupt hatte er ganz normal gelebt. Meist fuhr er zweimal im Jahr in Urlaub. Am Wochenende standen Ausflüge auf dem Programm. All das kann er sich nicht mehr leisten. Womit Rudi F. keine Ausnahme ist. „Die bürgerliche Mitte erodiert“, sagt Robert Morfeld. Die hohe Nachfrage überschuldeter Menschen führt inzwischen zu einer langen Warteliste. Wer sich heute neu in der Beratungsstelle der Christophorus-Gesellschaft meldet, muss damit rechnen, dass der eigentliche Beratungsprozess erst in drei Monaten beginnt.

In den vergangenen Wochen erfuhr Robert Morfeld zudem, dass das Thema „Schulden“ auch in anderen Beratungsstellen in den Vordergrund rückt. „Wir erleben eine massive Zunahme nach kollegialer Fachberatung“, sagt er. Suchtberater wenden sich zum Beispiel an die Christophorus-Gesellschaft, weil sie es mit Klienten zu tun haben, die viel zu viel Alkohol trinken oder nicht mehr vom Glücksspiel loskommen und zugleich überschuldet sind. Auch in der Allgemeinen Sozialberatung hat man es immer öfter mit Menschen in massiven finanziellen Notlagen zu tun. Selbst Fallmanager vom Jobcenter kontaktieren die Würzburger Schuldnerberater, weil sie Tipps benötigen.

Die Entwicklung ist insgesamt so bedenklich, dass sie eigentlich hohe Wellen schlagen müsste. So sind inzwischen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. „Das ist ein erschreckender Wert“, sagt Robert Morfeld. Doch der Aufschrei bleibt aus. Das liegt möglicherweise daran, dass die Menschen krisenmüde sind. Man will irgendwie durchkommen durch diese schwere Zeit. „Die Schulden drücken psychisch auf die Menschen, wobei die Situation dadurch erschwert wird, dass kein Ende der Krisen abzusehen ist“, konstatiert der Sozialpädagoge.

Wer von zwölfhundert Euro im Monat leben muss, kann keine großen Sprünge machen. In der Regel geht mindestens die Hälfte für Miete, Strom, Heizung und Nebenkosten drauf. Mit der anderen Hälfte war es vor wenigen Jahren noch möglich gewesen, halbwegs klarzukommen. Nun steigen die Lebensmittelpreise monatlich. Das Auto frisst immer mehr Geld. Handy und Versicherungen wollen bezahlt sein. Die kleinste unvorhergesehene Sache bringt den Haushaltsplan zum Kollabieren. In solchen akuten Notsituationen kann man sich an die offene Sprechstunde der Schuldnerberatung wenden. Die findet donnerstags von 14 bis 16 Uhr statt.

Rudi F. will alle Kräfte aufbieten, um in seinem aktuellen Job durchzuhalten. Im Moment ist er mit Robert Morfeld außerdem dabei, die Flut an Gläubigerbriefen zu sichten. Seit er von dem Schuldnerberater unterstützt wird, fühlt er sich ruhiger. Das Verständnis des Sozialpädagogen für seine schwierige finanzielle Situation und vor allem für seine seelische Erkrankung tut ihm gut. Rudi F. ist erleichtert, dass es mit Hilfe der Christophorus-Gesellschaft gelungen ist, seine Existenz zu sichern. Er muss trotz seiner hohen Schulden nicht befürchten, aus der Wohnung zu fliegen. Auch ist nun die Gefahr gebannt, dass ihm der Strom abgestellt wird.

Die Schuldner- und Insolvenzberatung ist montags, mittwochs und freitags von 9 bis 11 Uhr sowie donnerstags von 14 bis 16 unter 0931-322413 zu erreichen.  

 
(Nadia Fiedler)