Eine ganz andere Welt Was zwei Studierende der Sozialen Arbeit im Würzburger Johann-Weber-Haus erleben

Anna Vujcic und Nils Grießenauer lernen in ihrem Praxissemester das Johann-Weber-Haus kennen.
Bildrechte Nadia Fiedler, Christophorus-Gesellschaft

a, wo sie herkommen, herrscht oft ein rauer Ton. Armut. Und nicht selten Gewalt. „Manchmal kommt mir das, was ich von unseren Bewohnern aus dem Johann-Weber-Haus höre, wie aus einem Film vor“, sagt Nils Grießenauer. Der 25-jährige Student der Sozialen Arbeit leistet seit August ein Praktikum im Johann-Weber-Haus der Würzburger Christophorus-Gesellschaft ab. Dabei lernt er Welten kennen, die er sich bislang kaum hatte vorstellen können.

Im Praktikum können Studenten der sozialen Arbeit ein Semester lang jeden Tag üben, was sie zuvor zwei Jahre lang theoretisch gelernt haben. Obwohl sie viel Vorwissen mitbringen, erleben Praktikanten eine Menge Überraschungen. Das Leben ist nun mal anders, als es in den Lehrbüchern steht. „Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass so viele Bewohner des Johann-Weber-Hauses eine psychiatrische Diagnose haben“, sagt Nils Grießenauer. Das Johann-Weber-Haus, muss man dazu wissen, bietet Wohnungslosen und Strafentlassenen Sozialtherapie an: „Ich dachte immer, Alkoholismus sei der Hauptgrund für Wohnungslosigkeit.“
Während seines Praktikums erlebt Nils Grießenauer zu seiner Überraschung, wie verhängnisvoll sich die Erkrankung ADHS auswirken kann: „Das ist hier ein großes Thema.“ Dass viele Menschen wegen ADHS auf die schiefe Bahn geraten, hätte auch seine Kommilitonin Anna Vujcic nie gedacht. Die 21-Jährige leistet im Moment ebenfalls ein Praktikum im Johann-Weber-Haus ab. „Weiter überrascht hat mich, dass viele unserer Bewohner älter sind“, sagt sie. Wenn Anna Vujcic in Würzburg durch die Straßen schlendert, sieht sie eher jüngere Menschen am Straßenrand sitzen und betteln. Nun erlebt sie, wie viele Senioren keinen festen Wohnsitz haben.
Bevor Nils Grießenauer Soziale Arbeit zu studieren begann, sammelte er Erfahrungen in der freien Wirtschaft: „Ich habe Fachlagerist gelernt.“ Sehr schnell war dem Heidelberger jedoch klar, dass ihn dieser Job auf Dauer nicht glücklich machen würde. Er wollte beruflich etwas Sinnstiftendes tun. Und etwas, das Abwechslung bietet: „Die Arbeit im Lager vollzieht sich täglich nach dem gleichen Ablauf.“ Die Entscheidung, soziale Arbeit zu studieren, stellte sich bisher als goldrichtig heraus. Auch das Praktikum im Johann-Weber-Haus bestätigt dies. Abwechslungsreich ist das Tun dort auf jeden Fall: „Jeden Tag passiert etwas Neues.“ Und täglich lernt Nils Grießenauer hinzu.
Mancher Junge ist schon als Zehnjähriger kaum mehr zu bändigen. Er lehnt sich gegen Erwachsene auf. Verweigert die Schule. Verhält sich aggressiv. Und begeht kriminelle Handlungen. „Im Studium haben wir gelernt, dass jedes Verhalten seinen Ursprung hat“, sagt Nils Grießenauer. In der praktischen Arbeit im Johann-Weber-Haus findet er diesen Lehrsatz bestätigt. Der junge Mann lernt Bewohner kennen, die nicht das Glück gehabt hatten, in einer intakten Familie groß zu werden. Viele hatten Eltern, die mit tausend Problemen kämpfen mussten. Geldnot, Gewalt, psychische Krankheiten oder Sucht prägten das Familienleben.
Sich vorurteilsfrei auf Menschen mit sozialen Schwierigkeiten einzulassen, das ist das Wichtigste an der Arbeit einer Sozialarbeiterin respektive eines Sozialarbeiters. Anna Vujcic und Nils Grießenauer gelingt das gut. „Obwohl wir heftige Geschichten zu hören bekommen, gab es bisher noch nichts, was mich wirklich umgehauen hätte“, sagt Anna Vujcic. Emotional bewegt allerdings wurde sie bereits von vielen Biografien. „Einige Bewohner haben zum Beispiel erzählt, dass sie wegen ihrer psychischen Erkrankungen gleich mehrere Medikamente nehmen müssen“, sagt die Studentin. Manche hätten einen richtig leeren Blick gehabt. Das ging Anna Vujcic unter die Haut.
Ex-Häftlinge und Obdachlose zählen nicht zu jener Gruppe benachteiligter Menschen, für die öfter mal eine Benefizveranstaltung oder eine Spendenaktion organisiert wird. Ihre Lobby ist gering. Von daher gehört etwas dazu, sich für diese Menschen zu interessieren. Anna Vujcic findet es seit langem spannend, sich mit der Lebensgeschichte von Strafentlassenen auseinanderzusetzen. Ihr Interesse, erzählt sie, wurde belletristisch geweckt: „Ich las Romane, in denen es um straffällige Personen ging.“ Beruflich habe sie schon immer etwas mit Menschen machen wollen: „Erst dachte ich an ein Psychologiestudium.“
Damals, als sie überlegte, was sie später gern tun würde, hatte Anna Vujcic das Studium der Sozialen Arbeit noch nicht gekannt. Heute ist sie sehr froh, dass sie diesen Studiengang für sich entdeckt hat. Auch über ihre Praktikumsstelle ist sie glücklich. Vor allem, weil sie durch die Christophorus-Gesellschaft in weitere Einrichtungen, zum Beispiel die Bahnhofsmission oder die Wärmestube, hineinschnuppern kann. Auch dort gibt es im Übrigen Praktikanten und junge Menschen, die ein Freiwilliges soziales Jahr ableisten. Die werden Anna Vujcic und Nils Grießenauer beim „Willkommenstag“ der Christophorus-Gesellschaft am 18. Oktober kennen lernen.